BR15-12 Halifax (Nova Scotia) - St. Anthony (Newfoundland)

28. Juni 2015 – 22. Juli 2015

Von Halifax (Neu Schottland) nach St. Anthony (Neufundland)

 

Mit leisem Surren des Elektromotors stellt sich mein Sitz in die gewünschte Stellung, die mir für die nächsten Stunden eine angenehme Sitzposition ermöglicht. Der Condor-Flug DE 7062 bringt mich in sieben Stunden von Frankfurt nach Halifax zum Ausgangspunkt unseres lange erwarteten Törns. Zeit genug, um die letzten zwölf Monate mit den Vorbereitungen zu diesem Abenteuer Revue passieren zu lassen.

Törn 2015

Törnplan Halifax- St Anthony

„Die rund 1000 sm lange Strecke des Törns unserer Vereinsyacht BRIGANTIA von Halifax in Neu Schottland nach St. Anthony in Neufundland ist Teil der Nordatlantik Umrundung und führt uns in ein Revier, das von der Gemeinschaft für Seefahrt (GfS) in ihrer nun fünfundvierzigjährigen Geschichte noch nicht befahren wurde.
Deshalb ist die Vorbereitung sehr umfangreich. In vier Crew-Treffen lernt man sich kennen und es werden u.a. die Route, die Besonderheiten des Reviers, die Logistik, die Anforderungen an den Proviant und Details der persönlichen Ausrüstung besprochen. Dies geschieht unter erschwerten Bedingungen, da sich im Verlauf der Vorbereitung die Crewzusammensetzung einmal komplett erneuert. Die Anforderungen an Gesundheit und Fitness in diesem Revier sind recht hoch und können bei kritischer Selbstprüfung nicht von jedem erfüllt werden.
Schwerpunkte der Vorbereitung sind die Wacheinteilung, die Zuteilung der Aufgaben in den Notfallszenarien und die präzise Definition der Tätigkeitsprofile der Wache, die aus je einem Wachführer und Navigator besteht. In vier GfS-Seminaren lassen sich die Crewmitglieder die technischen Details unseres Schiffs erläutern, eifrig üben sie die Bedienung von Funk, AIS und Radar. Sie besprechen ausführlich die komplexe Thematik der Wetternavigation. Gruppendynamische Prozesse, die zwangsläufig in drei Wochen auf engstem Raum entstehen können, werden thematisiert.
Die Routenplanung nimmt die meiste Zeit in Anspruch. Das Studium der Revierinformationen sagt eindeutig aus, dass es sich um eines der härtesten Gebiete in den atlantischen Gewässern Kanadas handelt. Die Wetterküche hält viele Überraschungen bereit. Nebel, Fallwinde bis zu 60 Knoten, Tidenströme von bis zu acht Knoten, Eis in jeglicher Form, gemessene Wellen bis zu einer Höhe von 17 Metern und Wassertemperaturen von vier bis zehn Grad Celsius zählen zum Repertoire. Kein Wunder, dass man in Gedanken immer wieder Szenen des Films „Der Sturm" vor Augen hat, der eine wahre Begebenheit in diesen Gewässern schildert.
Diese düsteren Bilder werden aufgehellt durch die ausgezeichneten Informationen auf der WEB-Seite der Canadian Coast Guard, die Unterstützung des Trans-Ocean Revierstützpunktleiters Robert Müller in St. Peter's, Telefonate mit den Harbour Masters und die e-mail Kommunikation mit Blauwasserseglern. So entsteht eine gründliche und sichere Routenplanung. Ergänzt wird sie noch mit der Wetterberatung und den Grib-Daten der Firma Wetterwelt sowie 45 Papier-Seekarten des „Canadian Hydrographic Service". Insgesamt haben wir ca. zwanzig Kilo Dokumente im Gepäck."

Eine angenehme Stimme aus dem Bordlautsprecher holt mich aus meiner Gedankenwelt und weist darauf hin, dass wir uns im Landeanflug auf Halifax Airport befinden. Nun geht alles recht schnell. Einreiseformalitäten werden abgewickelt, das Gepäck in Empfang genommen. Es ist zum Glück komplett, auch die Tasche mit den Seekarten kommt mir auf dem Rollband entgegen. Draußen wartet schon Crewmitglied Brigitte mit dem Mietwagen und bringt mich nach einer ungewollten Landpartie (wir hatten uns verfahren) durch regenverhangene Landschaft ins Hotel.

Becker

Rundgang durch Halifax

Ein anschließender Rundgang durch die Stadt und entlang des Hafens vermittelt die ersten Eindrücke. Die Museumsschiffe am Kai erinnern an die Geschichte die eng mit der Seefahrt, den Einwanderern und der Fischerei verbunden ist. Viele Opfer der Titanic-Katastrophe wurden auf einem Friedhof in Halifax beigesetzt. Eine Geschichte die uns in Neufundland noch intensiver vermittelt wird. Hier haben über Jahrhunderte der Walfang und die Kabeljaufischerei eine bedeutende Rolle gespielt. Europäische und asiatische Fangflotten überfischten die Bestände, was letztendlich zum Zusammenbruch dieses Wirtschaftszweiges führte. Neufundland hat sich hiervon noch nicht erholt, was an der verfallenen Infrastruktur und der dünnen Besiedelung zu erkennen ist.

Becker Royal Nova Scotia Yacht Sqadron Marina 1

 

Am 30. Juni beginnen die Vorbereitungen vor Ort. Die BRIGANTIA, unsere HR 48, liegt seit einigen Tagen in der Royal Nova Scotia Yacht Sqadron Marina. Die Vor-Crew, die das Schiff von Maine nach Halifax segelte, liefert uns einen Statusbericht mit nur wenigen Punkten: Das Unterwasserschiff wurde gereinigt und ein technischer Defekt am elektronischen Nebelhorn behoben.
In Supermärkten und Getränkeläden beschaffen wir den Proviant für drei Wochen. Zwischendurch betätigt sich Brigitte auch noch als Shuttle-Service für die nach und nach eintreffenden Crew-Mitglieder Volker, Michael, Inge und Rolf. Am Abend sind wir komplett und haben den Proviant nach Stauliste versorgt.


1. Juli 2015: Heute ist in Kanada Nationalfeiertag und die Geschäfte sind geschlossen. Gut, dass gestern alle Besorgungen erledigt wurden. Da es morgen losgehen soll, wird die BRIGANTIA von der Mastspitze bis zur Bilge inspiziert, kein Splint wird ausgelassen.

Wetzel Rig Inspection 1 8375

Reparaturen bzw. die Beschaffung von Ersatzteilen an Neufundlands Küsten können sehr zeitaufwendig werden, wie aus den leidvollen Berichten einiger Fahrtensegler zu entnehmen ist. Nach umfangreicher Sicherheitseinweisung und einem guten Büfett im Yachtclub sind alle gerüstet für den Start unserer Expedition.
2. Juli 2015, SW 4-5, Nebel: Die Nacht ist schnell vorbei. Wie geplant laufen wir gegen acht Uhr aus und hinein in den Nebel. Das automatische Nebelhorn, AIS, Radar und Radarreflektor sind aktiviert. Pflichtbewusst wird unser Auslaufen der Halifax Harbour Control gemeldet, die uns eine gute Fahrt wünscht. Wir befinden uns außerhalb des TSS, hangeln uns von Seezeichen zu Seezeichen und nehmen unsere Checkliste zur Hilfe, auf der sie abgehakt werden. Wir hören die Nebelhörner der uns umgebenden Schiffe und die Signale der Heulbojen. Es ist gespenstisch. Laut Revierführer wird empfohlen, auf der 100 Meter Tiefenlinie zu fahren, um den Untiefen und den Grundseen zu entgehen. Das heißt, dass 10 sm Abstand zur Küste eingehalten werden müssen. Der Wind weht aus SW mit 4-5 Bft. Das Groß mit zwei Reffs und die Genua werden gesetzt. Man ist nie sicher, was einen hier draußen noch erwartet. Das Wetter meint es gut mit uns, der Nebel lichtet sich und mit 6-7 Knoten Fahrt geht es in die Nacht und unserem ersten Ziel entgegen. Der Wachwechsel spielt sich ein, der Vollmond lässt den Nachtschlag zum Erlebnis werden. Nach 160 sm geht uns der Wind aus, doch genießen alle die Stimmung auf See uneingeschränkt.
3. Juli 2015, SW 3-4, bedeckter Himmel: Am Morgen tasten wir uns zum St. Peter's Canal vor. Dieser verbindet den Atlantik mit dem 1100 qm großen Bras d'Or Lake System. Ich hatte die Route durch den Bras d'Or Lake gewählt, um den Nebelbänken vor der Ostküste Nova Scotias zu entgehen, denn die Revierführer weisen darauf hin, dass im Juli die Sichtweite im Gebiet der Grand Banks zu 40% unter einer halben Seemeile liegt.

Becker St. Perts Canal

Die nette Schleusenwärterin schleust uns problemlos durch den Kanal und öffnet auch noch eine Straßenbrücke, so dass bereits um 11:00 Uhr im Logbuch „fest in der St. Peter´s Marina" eingetragen werden konnte. Am Abend empfangen uns Lions Club Mitglieder, denen die Marina gehört, im Yachtclub herzlich und verwöhnen uns mit selbstgebackenem Kuchen. Rolf und Inge hatten das Treffen von zuhause aus organisiert. Nach Ansprachen und dem Austausch der Vereinsflaggen fahren wir gemeinsam zu einem Restaurant. Dort genießen wir regionale Küche bei bester Stimmung.

Becker St. Peters Marina

4. Juli 2015, NW 3, klarer Himmel: Mit dem Trans-Ocean Stationsleiter Robert Müller, der in St. Peter's mit seiner Frau auf der Lagoon 380 LIZA lebt, berate ich morgens die weitere Route und die Wetteraussichten.

Wetzel Im Gepräch mit Bob TO Stützpunkt

Eine Hochspannungsleitung auf unserer Strecke (Beaver Narrows), deren Durchfahrtshöhe laut unterschiedlichen Quellen zwischen 24 Metern und 30 Metern liegen soll, bereitet einiges Kopfzerbrechen. Mit fast 23 Metern Masthöhe sind wir nahe am Limit. Wir verlassen uns auf Roberts Ortskenntnis. Er bestätigt 30 Meter und die Gefahrenstelle wird anschließend ohne Probleme passiert, jedoch mit einem mulmigen Gefühl im Bauch.
Den ganzen Tag segeln wir bei angenehmen Temperaturen, schönstem Sonnenschein und 3 Bft aus NW zum nächsten Ziel Baddeck Marina, die wir nach einem Ankerstopp in Gillis Point in sieben Stunden erreichen.

Becker Baddeck Marina 2

Hier wartet schon ein Liegeplatz auf uns, der von zuhause reserviert wurde. Wir genießen den Aufenthalt in der Marina mit all ihren Annehmlichkeiten. Sie werden auf der vor uns liegenden Strecke vermisst.
5. Juli 2015: Wir haben heute Zeit, das bekannte Bell Museum zu besuchen. Nach anschließendem Stadtbummel bereiten der Skipper und die Wachführer die Passage nach Neufundland über die berüchtigte Cabot Strait vor. 250 Seemeilen liegen vor uns. Der Gasvorrat muss ergänzt werden. Ein Ehepaar, das mit seinem Boot am Nachbarsteg liegt, bietet seine Hilfe an. Dies ist nur in Sidney möglich und die beiden fahren hierfür mit Volker und Rolf zwei Stunden und weit über hundert km ohne einen Cent zu verlangen. Solche Hilfsbereitschaft haben wir auf diesem Törn häufig erfahren.
6. Juli 2015, SW 4, leichte Bewölkung: Unsere Hausaufgaben sind gemacht und wir legen um 12:00 Uhr Ortszeit in Baddeck in Richtung der 250 sm entfernten Bay of Islands ab. Die Canadian Tide and Current Tables sagen uns, dass wir um 14:30 Uhr an der 18 sm entfernten Seal Island Bridge sein müssen. Um diese Zeit kentert der Strom und es kann mit der geringsten Strömung gerechnet werden. Dies ist wichtig, da hier die Strömung bis zu acht Knoten setzen kann. Vor der Situation Wind gegen Welle wird an dieser Stelle ausdrücklich in den nautischen Unterlagen gewarnt. Mit Motorunterstützung passieren wir die Engstelle an der Brücke planmäßig und ohne Probleme, der Strom steht noch immer mit 2,5 Knoten gegenan.
Um 15:30 Uhr wird der Table Rock querab gepeilt. Es liegt jetzt die berüchtigte Cabot Strait vor uns, es sind lange 80 sm bis zur Küste Neufundlands. Die „open water fetches" sind von allen Seiten enorm lang. Aus nordwesten sind es 250 sm bis hin zur Gaspe Passage. Nach Südwesten reicht der Fetch unlimitiert hinaus in den Atlantik. Aus nordosten bis zu 250 sm in den St. Laurence Gulf. Bei entsprechender Windstärke und Dauer entstehen hier sehr hohe Seen.
Der Wetterbericht prognostiziert Winde aus NW mit 1-2 Bft, eine moderate 2er See und vereinzelte Nebelbänke. Dies trifft auch weitestgehend zu. Wir sind erleichtert.

Die Cabot Strait zeigt sich heute von ihrer ruhigen Seite. Dass die Fischer ihr AIS ausschalten um ihre Fanggründe nicht preiszugeben, erzeugt bei Nebel kein beruhigendes Gefühl. Wir sind froh, dass unser Radar funktioniert.

Becker Ansteuerung der Bay of Islands

7. Juli 2015, SW 4, leicht bewölkt: Um 04:00 Uhr morgens liegt Wreck House Brook an der Küste Neufundlands laut GPS querab. Wir passieren diesen Punkt im Abstand von 20 sm, da hier vor den Wreckhouse Winds gewarnt wird. Diese Fallwinde können mehr als 60 Knoten erreichen und sind bis 20 sm vor der Küste zu spüren. Den ganzen Tag ist es dunstig und wir können die Küste Neufundlands nur erahnen. Nach über 40 Stunden sind wir um 20:50 Uhr fest vor Anker in Woods Island, einer Insel in der Bay of Islands. Die Gegend hat etwas Archaisches und man kann sich leicht vorstellen, dass es hier vor 100.000 Jahren nicht viel anders ausgesehen hat. Alle genießen die Abendstimmung in dieser einmaligen Landschaft und schlafen nach diesem langen Schlag erst einmal richtig aus.
8. Juli 2015, SW 4-5, klarer Himmel: Der Tag verläuft recht gemütlich. Unsere BRIGANTIA wird in den 15 sm entfernten Bay of Islands Yacht Club verlegt. Auch diesen Liegeplatz hatten wir von zuhause aus reserviert. Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft gehören auch hier zu den Selbstverständlichkeiten im Zusammenleben. Ohne dass sie große Worte verlieren, werden Inge und ich von Privatleuten in die nächstgelegene Stadt Cornerbrook gefahren und bei der Beschaffung von Lebensmitteln und eines Mietwagens unterstützt. Das in wenigen Tagen ablaufende Aufenthalts-Permit für die BRIGANTIA wird unbürokratisch von den lokalen Zollbehörden behandelt.

Becker Diesel wenn überhaupt gibt es nur per Tankwagen                

9. Juli 2015: Unsere BRIGANTIA wird heute mit neuem Diesel versorgt. Der wird per Tanklaster angeliefert. Mit dem Mietwagen erkunden Brigitte, Inge, Rolf, Michael und ich die Gegend und unsere Fotoenthusiasten können sich vor Motiven kaum retten.

Becker Fischer bei der Arbeit 1

Der Besuch bei lokalen Fischer endet damit, dass sie uns 3 Kilo Dorsch und etliche Dorschzungen schenken, die in ein vorzügliches Abendessen verwandelt werden. Für uns alle eine kulinarische Überraschung! Jeden Tag fühlen wir uns wohler. Keine Spur von den düsteren Erwartungen, die sich jeder von uns bei der Törnvorbereitung ausmalte. Werden sie noch kommen? Wir sind gespannt.
10. Juli 2015, SE 3-4 morgens dunstig, später klarer Himmel: Um 07:00 Uhr heißt es „Leinen los", um die 60 sm entfernte Bonne Bay im Gros Morne National Park zu erreichen. Mit moderatem Wind von 3-4 Bft aus SE segeln wir zum Fjord, erkunden ihn unter Segeln ausgiebig und erreichen unser Ziel Neddy Harbour gegen 17:45 Uhr, wo wir vor Anker gehen.

11. Juli 2015, NE 1-2, dunstig: Das Wetter an diesem Tag erinnert uns an den Bodensee im Sommer. Wind von 1- 2 Bft aus NE reicht nicht einmal aus, um die nötige Fahrt für unsere Tagesstrecke aufzunehmen. Also starten wir den Diesel, dessen monotones Tuckern uns in einen schläfrigen Zustand versetzt. Gegen Abend frischt der Wind auf und wir können mit 4 Bft aus NE die verbleibenden 20 sm nach Port au Choix segeln. Dort treffen wir gegen 19:30 Uhr ein und machen an einem Steg der Public Warf fest. Leider muss unser Strom mittels Bordgenerator erzeugt werden, da unsere Bordelektronik die lokalen 130 Volt 60 Htz nicht mag. Die sanitären Anlagen sind auf die Bedürfnisse der Fischer ausgerichtet. Unsere weiblichen Crewmitglieder arrangieren sich damit. Wie schon so oft, tauchen schnell Schaulustige mit ihren Trucks an unserem Liegeplatz auf, da es sonst in dieser abgelegenen Gegend kaum Abwechslung gibt.

Becker Hochseefischer

Im „Anchor Cafe" genießen wir ausgezeichnete Fischgerichte und unterhalten uns mit der Kellnerin über die Gegend. Sie erinnert uns daran, dass dieses Revier normalerweise nicht so friedlich ist. Ein Überbordgehen ist wegen der Kälte des Wassers innerhalb weniger Minuten tödlich. Sie erzählt weiter, dass die meisten Neufundländer nicht schwimmen können, da es sowieso nichts nützen würde. Die Leute sind hier so nett, dass wir sofort beschließen, auch den Sonntag (12. Juli) hier zu verbringen. Der Sonntagmorgen beginnt mit einem ausgiebigen Sonntagsfrühstück. Der Duft von frisch gebackenem Hefezopf weckt die Lebensgeister. Ausgeschlafen und gestärkt zieht die Crew zur Erkundung von Port au Choix los. Zu den wenigen Sehenswürdigkeiten zählt Ben's Studio. Ben ist ein bekannter lokaler Künstler. Wir bewundern seine naiven Bilder aus Holz und hören seinen Geschichten zu. Er zeigt uns stolz seinen Garten mit genialen Flaschentreibhäuschen. Kartoffeln zieht er in Abfallsäcken. Die raue Gegend regt wohl den Erfindergeist an. Danach wird marschiert. Die schnurgrade Straße reicht bis zum Horizont und scheint kein Ende zu nehmen. Unser Ziel ist die Tourist Information. Wir studieren die Schautafeln, auf denen die Geschichte Neufundlands beschrieben wird und können unsere Smartphones und Tablets endlich wieder über „free wifi" an den Internettropf hängen.

Becker Ancor Cafe

Der Tag endet mit einem guten Essen im „Anchor Cafe". Der sehr netten Bedienung schenken wir für das Restaurant eine GfS-Flagge. Die verrückten Deutschen in den blauen Jacken und der Segelyacht sind mittlerweile schon stadtbekannt..
13. Juli, SW 3, Nebel: Der Morgen beginnt mit Nebel. Um 09:15 Uhr schleichen wir uns vorsichtig unter Einsatz des Nebelhorns, das die Morgenstille zerreißt, aus Port au Choix. Draußen auf See lichtet sich schon bald der Nebel, Groß und Genua werden gesetzt. Ein 3er SW treibt uns voran.

Mit ausgebaumter Genua macht die BRIGANTIA Fahrt, zeitweise begleitet von einer Delfinschule. Wie im Revierführer beschrieben, verstärkt sich der Wind, je weiter wir in die Düse der „Belle Isle Strait" vorrücken. Er bleibt jedoch weit unter den Werten, die durch die „Funnelled Winds" verursacht, mit 40 Knoten und mehr angegeben werden. Mit einem WSW und 5 Bft laufen wir in die Bucht von Flower's Cove gegen 17:00 Uhr ein. Zu unserer Überraschung ist die Mole der Public Warf eine einzige Baustelle und es gibt keine Verbindung zum Land. Uns bleibt keine andere Wahl und wir gehen auflandig längsseits an die Mole, da der Wind mittlerweile auf 25 Knoten aufgefrischt hat und keiner von uns Lust verspürt, nochmals raus auf die recht stürmische See zu fahren. Wir greifen auf unsere eigene Stromversorgung mittels Dieselgenerator zurück.

Nach vierzehn Tagen auf See kommt nun auch die Gruppendynamik zu ihrem Recht. Leichte Differenzen zwischen einzelnen Crewmitgliedern sind nicht zu übersehen und bedürfen einer Aussprache. Gratin mit Schinken, von Rolf zubereitet, glättet die letzten Spannungen und der Abend klingt gemütlich aus während draußen der Wind pfeift

14. Juli 2015, SW 4, leichte Bewölkung: Ein besonderer Tag - von nun an fahren wir im Eisberggebiet. Achtunddreißig dieser Giganten sollen sich gemäß des Eisberichts der Canadian Coast Guard hier tummeln. Um 08:15 Uhr lösen wir uns von der Mole in Flower's Cove. Es ist noch etwas diesig, doch die Sicht ist gut. Ein 4er SW ermuntert uns, rasch das Groß und die Genua zu setzen. Von nun an halten wir Ausschau nach Eisbergen und Walen. Die Sicht wird deutlich besser und die knapp 10 sm entfernte Küste von Labrador taucht auf. Auf Grund der Wetterprognose, die einen Tropical Storm für die nächsten Tage ankündigt, wird beschlossen, Red Bay (Labrador) aus unserer Route zu streichen. Wale lassen hier und da ihren Blas aufsteigen, zeigen uns aber nicht mehr als ihre Rücken. Wir schätzen ihre Länge auf über zehn Meter. Der Wind treibt die BRIGANTIA gleichmäßig mit 3 -4 Bft aus SW voran, aber auch die Eisberge von uns weg. Einige können wir am Horizont erahnen und sind letztlich nicht sicher, ob es vielleicht doch Frachtschiffe sind. Um 14:30 Uhr passieren wir Cape Norman und segeln entlang der Nordküste Neufundlands zu unserem nächsten Ziel Quirpon Harbour. In Cornerbrook wurde uns erzählt, dass hier die Wale spielen. Wale finden wir hier zwar nicht, dafür eine versteckte, malerische Bucht. Ein Steg der Public Warf wird unser Liegeplatz für die Nacht.

Becker Quirpon Fischer

Inge, Rolf und Michael unternehmen eine abenteuerliche Wanderung durch unwegsames Gelände und entdecken einen gestrandeten Eisberg. In der Zwischenzeit bereitet Volker Pfannkuchen mit Käse, Speck, Zwiebeln, Apfelmus oder Ahornsirup zu. Gerne hätten wir noch einen weiteren Tag in dieser Bucht zugebracht wäre da nicht die Warnung vom Wetterdienst aus Deutschland. Sie mahnt uns zum Aufbruch und empfiehlt, die Gegend umgehend zu verlassen und in den Zielhafen St. Anthony nicht später als Donnerstag einzulaufen. Der erwähnte Tropischer Sturm nähert sich von Süden mit dichtem Nebel und Windstärken von über 8 Bft. Darauf können wir gerne verzichten: Mitten in der Eisberggegend bei diesem Wetter auf einem Süd Kurs gegenan nach St. Anthony fahren!

15. Juli 2105, SE 4-5, klarer Himmel: Wir verabschieden uns bei bestem Wetter von der wunderschönen Quirpon Bucht und nehmen Kurs auf Cape Bauld. Es liegt 51° 38' N und 055° 25' W und ist der nördlichste Punkt unserer Reise. Eisberge auf der Höhe von Dublin kaum vorstellbar. St. Anthony ist nur 30 sm entfernt und es bleibt genug Zeit, auf Eisbergjagd zu gehen. Tatsächlich entdecken wir bald einige und müssen entscheiden, welcher der schönste ist. In ca. 10 sm Entfernung schwimmt ein besonders prächtiges Exemplar und wir segeln angetrieben von einem 4er SE dorthin. Gemäß Empfehlung in der offiziellen Broschüre „Ice Navigation in Canadian Waters" umrunden wir ihn in gebührendem Abstand. Seine bizarren Formen werden von allen Seiten bewundert und abgelichtet. Auf der verbleibenden Strecke tummeln sich weitere Eisberge. Der SE Wind hat inzwischen weiter auf 5 Bft zugenommen und bläst uns direkt auf die Nase. Der Tropische Sturm sendet schon einmal seine Vorboten. Gegen 16:00 Uhr erreichen wir die Bucht von St. Anthony, wo ein weiteres Prachtexemplar eines Eisberges auf uns wartet. Vor blauem Himmel und den malerischen Häusern kokettiert er solange mit uns, bis wir nicht anders können und auch mit ihm ein Fotoshooting veranstalten.

Becker Eisberg in der Bucht von St. Anthony

Im Hafen suchen wir nach einem logistisch vorteilhaften Liegeplatz, da Diesel und Wasser benötigt werden und die Nach-Crew ihren Proviant und ihr Gepäck an Bord bringen muss. Dies stellt sich als schwierig heraus, weil wegen des aufziehenden Sturms viele Fischerboote den Schutz des Hafens aufgesucht haben und teilweise schon im Päckchen liegen. Die Kommunikation mit dem Hafenmeister, der erst gesucht werden musste, ist wegen seines neufundländischen Dialekts holprig. Seinem Vorschlag, längsseits zu einem der großen Hochseefischer zu gehen, kann ich aus Sicherheitsgründen nicht folgen. Es gibt keine Möglichkeit zum Belegen der Leinen. Schlussendlich wird an einem alten, rostigen Ponton angelegt.

Becker Liegeplatz St. Anthony

16. Juli – 22. Juli 2015, Tropical Storm N-NE 5-8: Wie angekündigt ist nun der „Tropical Storm" vor Ort. Anders als bestellt kommt der Tankwagen bei Niedrigwasser. Der Fahrer teilt uns mit, dass unser Boot verlegt werden muss, da der Tankschlauch zu kurz ist. So tritt ein, was verhindert werden sollte. Das Manöver erweist sich wie erwartet als Herausforderung: 25 Knoten Wind auflandig von der Seite und nur wenige Zentimeter Wasser unter dem Kiel. Die einzige Lücke zwischen den Fischerbooten schätze ich maximal vier Meter länger als unser Boot. Einen anderen Liegeplatz gibt es nicht. Es muss beim ersten Versuch klappen! Dieser gelingt dank der eingespielten Crew.

Die restlichen Tage bis zu unserem Rückflug hält uns der Sturm fest an der Mole. Die Crew erkundet die Gegend wieder mit Hilfe der freundlichen Neufundländer.
Anschließend bereiten alle die BRIGANTIA zur Übergabe an die Folgecrew vor. Sie wird in der nächsten Etappe der Nordatlantik-Umrundung weiter nach Grönland segeln.
Unser dreiwöchiges Segelerlebnis hat nicht nur aus sechs Individuen ein Team geformt. Es hat Begeisterung geweckt für ein noch ursprüngliches Revier abseits ausgetretener Pfade.

Becker Bucht von St. Anthony

Zusammenfassung: Das Revier ist anspruchsvoll, jedoch bei guter Vorbereitung mit einer hochseetüchtigen, gut ausgerüsteten Yacht und guter Seemannschafft zu meistern.
Danksagung: Mein Dank gilt all denjenigen, die uns in Neu Schottland und Neufundland hilfreich zur Seite standen, im Besonderen Robert Müller, dem Stationsleiter von Trans Ocean, den Mitarbeitern der Firma Wetterwelt, meiner Crew und dem Verein dafür, dass wir ein so tolles Schiff fahren durften.

Hans-Roland Becker